Dostoevsky Studies Dostojewskijs Jüngling und Salingers Catcher in
the Rye
Horst-Jürgen Gerigk, Universität Heidelberg
Dostojewskijs Jüngling (Podrostok) erschien 1875. Sein
Schauplatz ist, vorwiegend, Petersburg im Jahre 1873. Salingers The Catcher in the Rye erschien
1951. Sein Schauplatz ist, vorwiegend, New York im Jahre 1949. (1) Man
sieht: Beide Werke sind Gegenwartsromane im engeren Sinne des Wortes.
Genauer gesagt: Beide Autoren fixieren ihre unmittelbare Gegenwart im
Prisma eines Heranwachsenden, der von dieser Gegenwart überfordet ist
und von ihr überwältigt wird.
Arkadij Dolgorukij, Dostojewskijs Titelgestalt, ist 19 Jahre alt.
Holden Caulfield, Salingers Zentralfigur, ist 16 Jahre alt.
Dostojewskij und Salinger dramatisieren die Hölle der Pubertät mithilfe
einer ganzen Reihe identischer Mittel thematischer und formaler Art.
Im folgenden sollen beide Romane im Detail miteinander verglichen
werden. Soweit ich sehe, ist ein solcher Vergleich bislang nicht
durchgeführt worden, obwohl Salingers Roman mit einer erstaunlichen
Vielzahl von Werken der europäisch-amerikanischen Tradition verglichen
worden ist. (2)
So wurde Holden Caulfield im amerikanischen Traditionszusammenhang
mit Natty Bumppo (Cooper), Ishmael (Melville), Huck Finn (Mark Twain),
Quentin Compson (Faulkner), Jay Gatsby (Fitzgerald), Tom Joad
(Steinbeck), Nick Adams (Hemingway) in Beziehung gesetzt, und im
europäischen Kpntext mit Odysseus (Homer), Ulysses (Joyce), Aeneas
(Vergil), Fürst Myschkin (Dostojewskij), Stephen Dedalus (Joyce), ja
auch mit dem Protagonisten des Waste
Land (T.S.Eliot) sowie mit Hans Castorp (Thomas Mann). Allen
diesen Gestalten sei die Suche nach dem Ideal, sei es die Liebe oder
die Wahrheit, gemeinsam. (3) Es wundert nicht, daß auch Hamlet und Don
Quijote als Parallelfiguren geltend gemacht wurden.
In seiner Wirkung auf eine junge Generation, die in einer
literarischen Gestalt ihre verborgensten Empfindungen ausgedrückt
sieht, ist The Catcher in the Rye
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mit Booth Tarkingtons Seventeen
(1916) und mit F. Scott Fitzgeralds This
Side of Paradise (1920) verglichen worden. Es überrascht nicht,
daß in solchem Zusammenhang auch die Romane Thomas Wolfes genannt
wurden.
Aber auch Charles Jacksons The
Lost Weekend (1944), das fünf Tage im Leben eines Alkoholikers
schildert, wurde zum Vergleich herangezogen.
Die zuweilen hysterischen Obertöne in Holden Caulfields
Erlebnisbericht haben die Erinnerung an manche Gestalten Edgar Allan
Poes aufkommen lassen, die wie aus dem Irrenhaus zu uns sprechen. Auch
Theodor Fischer aus Mark Twains The
Mysterioua Stranger (posthum 1916) ist als wesensverwandt
empfunden worden.
Als mögliches Vorbild für die Gestaltung der Welt Holden Caulfields
ist sogar The Thin Man (1943)
von Dashiell Hammett geltend gemacht worden: unter Verweis auf die
Probleme Dorothy und Gilbert Wynants. (4)
In einem positiven Sinne typisch für das weitgespannte Netz der
Bezugnahmen ist die folgende Feststellung Leslie Fiedlers aus dem Jahre
1962: "Was der Selbstmord für den jungen Werther gewesen ist oder das
Weglaufen von Zuhause für Huckleberry Finn, das ist für den
empfindsamen jungen Mann von heute, wie uns Salinger versichert, der
'Nervenzusammenbruch'." (5)
Am häufigsten treffen wir auf den Vergleich mit Mark Twains Huckleberry Finn (1884): sowohl im
Hinblick auf die Verwendung des Ich-Erzählers, als auch im Hinblick auf
das pikareske Prinzip, zu dem auch das ständig mögliche Aufblitzen des
Komischen gehört. "Die Odyssee der Jugend" ist das Schlagwort, unter
dem beide Werke zusammengefaßt wurden. Der Vergleich mit Mark Twains
Hauptwerk ist denn auch mit relativer Ausführlichkeit durchgeführt
worden und blieb nicht auf den puren Verweis beschränkt. (6)
Es verwundert nun, daß trotz der Großzügigkeit, mit der innerhalb
der Salinger-Forschung Hinweise auf mögliche einzelne Vorbilder oder
auf nachweislich prägende Traditionslinien ausgestreut wurden, ein Werk
ungenannt blieb, das Salingers Roman sowohl inhaltlich, als auch formal
regelrecht vorwegnimmt: Dostojewskijs Jüngling
(1875) .
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Von Dostojewskijs fünf großen Romanen, die das Zentrum seines
Schaffens bilden, hat der Jüngling als einziger keine spektakuläre
Wirkung ausgeübt. Keine seiner Personen ist ins allgemeine literarische
Bewußtsein eingegangen wie etwa Raskolnikow, Fürst Myschkin, Stawrogin,
Iwan Karamasow. Auch in der neueren Dostojewskij-Forschung herrscht die
Tendenz vor, den Jüngling
gegenüber Schuld und Sühne, dem Idioten,
den Dämonen und den Brüdern Karamasow abzuwerten. Ganz
offensichtlich ist Dostojewskij mit diesem zweitletzten seiner großen
Romane einen Weg gegangen, der als untypisch empfunden wurde. Des
Mordes schwere Tat fehlt hier. Statt einer Psychologie des Verbrechens
liefert der Jüngling eine
Psychologie des Jugendalters. Die Dramatisierung einer pubertären Krise
bleibt harmlos, verglichen etwa mit der Lust und der Qual des bleichen
Verbrechers, wie sie uns Raskolnikow vorführt. Und so ist der Jüngling bis heute nicht mit
demselben intensiven Interesse rezipiert worden wie die anderen vier
großen Romane Dostojewskijs.
Es fällt jedoch auf, daß gerade zu diesem Werk enthusiastische
Reaktionen seitens anderer Schriftsteller vorliegen. So hat Franz Kafka
seinem Freunde Max Brod "mit lauter Stimme, außer sich vor
Begeisterung" aus dem Jüngling
vorgelesen. Max Brod vermerkt, Kafka sei von Dostojewskijs Jüngling
"besonders entzückt gewesen". (7)
Des weiteren rechnet Hermann Hesse den Jüngling zu "Dostojewskijs großen
Romanen" und stellt fest, man stehe vor diesem Werk "wie vor einem
unglaublich kühnen, ja frechen Kunststück", Hesse lobt insbesondere
Dostojewskijs "überlegene Meisterschaft" in der Handhabung des Tonfalls
seines Ich-Erzählers. (8)
Auch sei nicht vergessen, daß André Gide seiner bekannten
Artikelsammlung zu Dostojewskij einen Anhang mit Textproben beigefügt
hat, deren erste dem Jüngling
entnommen ist. (9)
Es ist anzunehmen, daß auch der Autor des Catcher in the Rye Dostojewskijs
Jüngling gelesen hat, jedoch
besitzen wir dafür keinen expliziten Beleg, zumal ja Salinger eine
derartige Scheu vor aller Öffentlichkeit an den Tag legt, daß man ihn
die "Greta Garbo der amerikanischen Literatur" genannt hat. (10)
Salingers Bewunderung für Dostojewskij ist allerdings bekannt.
Man denke etwa an das so oft genannte Zitat aus den Brüdern Karamasow in der Erzählung
"For Esmé — with
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Love and Squalor", auch gehört Dostojewskijs Idiot zum Bücherbestand der Familie
Glass. Salingers intensives Interesse an der russischen
Geistesgeschichte wird des weiteren durch die wichtige Rolle belegt,
die The Way of a Pilgrim, ein
Werk russisch-orthodoxer Frömmigkeit, in Franny and Zooey spielt. (11)
Manches spricht dafür, daß Salinger Dostojewskijs Jüngling, der seit 1916 in
englischer Übersetzung unter dem Titel A Raw Youth vorliegt, regelrecht
studiert hat, so daß The Catcher in
the Rye als eine schöpferische Adaption des Jünglings anzusehen ist. Salinger
hat sich, wie es scheint, Dostojewskijs Vorgehen zur poetologischen
Lektion werden lassen und aus ihr seine eigenen Schlüsse gezogen.
Konkret gesprochen: Dostojewskijs Jüngling
und Salingers The Catcher in the Rye
weisen eine ganze Reihe thematischer und formaler Gemeinsamkeiten auf,
deren Herausarbeitung für die adäquate Einschätzung beider Werke von
Nutzen sein kann.
Zu den thematischen Gemeinsamkeiten gehören: (1.) die zentrale
Gestaltung der Krise eines pubertären Bewußtseins, (2.) der Aufbruch in
die Welt als abenteuerlicher Streifzug durch eine Großstadt, (3.)
Isolation, Überforderung und prekäre Gesundung des "Helden", (4.) seine
noch innozente Beziehung zum weiblichen Geschlecht und die daraus
resultierende magische Beirrung durch das Sexuelle, (5.) das fehlende
Verständnis seiner Eltern, (6.) seine Suche nach einem Mentor (7.) die
Hinwendung zur jüngeren Schwester. Und schließlich trägt (8.) in beiden
Romanen die negativste Gestalt den Vornamen Maurice.
Zu den formalen Gemeinsamkeiten gehören: (1.) die Ich-Form mit der
Identität von Erzähler und Hauptperson, (2.) die geringe Erzähldistanz,
die im Erzählten immer wieder Unverwundenes durchscheinen läßt, (3.)
die relativ kurze Zeitspanne, in der die chronologisch
vergegenwärtigten Ereignisse stattfinden, (4.) die ausschließlich
assoziative Einbringung der Vorvergangenheit und (5.) die realistische
Diktion des jugendlichen Erzählers, sein Tonfall, der das auffälligste
Charakteristikum beider Werke ist.
Zunächst seien die thematischen Gemeinsamkeiten erläutert. Beide
Werke schildern zentral die Krise eines pubertären Bewußtseins. Das
heißt: es wird eine einzige
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Situation, der Aufbruch eines Heranwachsenden in die Welt, zur
Herrschaft gebracht. Alle übrigen Situationen beider Romane dienen der
Veranschaulichung dieser einen zentralen Situation.
Dostojewskijs Jüngling, Arkadij Dolgorukij, ist 20 Jahre alt, als
er, unter dem Ansturm einer Krise, die er durchgemacht hat, zu erzählen
beginnt. Die Ereignisse, über die er berichtet, liegen nur wenige
Monate zurück. Genauer gesagt: Er berichtet über nur wenige Tage des
vergangenen Jahres, deren Geschehnisse ihn noch jetzt intensiv
bedrängen: es sind drei Tage, der 19. September, der 18. November und
ein Tag Anfang Dezember, die besonders ausführlich evoziert werden. Für
die chronologische Beschreibung eines jeden dieser Tage verwendet
Dostojewskij jeweils fünf Kapitel. Während dieser Zeitspanne ist
Arkadij Dolgorukij 19 Jahre alt. (12)
Salingers Jüngling, Holden Caulfield, ist 17 Jahre alt, als er,
unter dem Ansturm einer Krise, die er durchgemacht hat, zu erzählen
beginnt. Die Ereignisse, über die er berichtet, liegen nur wenige
Monate zurück. Er berichtet über insgesamt drei Tage im Dezember des
vergangenen Jahres, kurz vor Beginn der Weihnachtsferien. Während
dieser Zeitspanne ist Holden Caulfield 16 Jahre alt.
Hier läßt sich bereits feststellen: Salinger hat, ganz
offensichtlich, Dostojewskijs Vorgehen vereinfacht. Anstelle der drei
Teile des Jünglings finden
wir nur einen einzigen vor, der das Ganze ist. Den rund 200 Seiten des
ersten Teils bei Dostojewskij entsprechen die rund 200 Seiten des
Ganzen bei Salinger. Die zeitliche Gliederung der Erlebniskette aber
ist die gleiche: es werden nur wenige Tage im Leben eines
Heranwachsenden geschildert. Es kommt dadurch, wie im Jüngling, zu einer Nahaufnahme
pubertärer Bewußtseinstätigkeit. Dieses Bewußtsein schildert sich in
beiden Werken selbst. Für beide Werke gilt, daß alles, was überhaupt
geschieht, nicht für sich selbst Bedeutung hat, sondern ausschließlich
mit der Wirkung relevant wird, die es auf den Erzähler ausübt.
In Dostojewskijs Vorarbeiten zum Jüngling
findet sich, unter dem 12. August 1874, folgender Überlegungsvermerk:
"Wichtige Lösung der Aufgabe. In seinem Namen schreiben. Beginnen mit
dem Worts Ich." "Auf diese Weise", so notiert Dostojewskij weiter,
"zeichnet sich die Gestalt des Jünglings ganz von selbst", sowohl durch
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die "Ungeschicklichkeit des Erzählens", als auch durch den
"ungewöhnlichen Ernst" seines "Charakters". (13)
Solche Kennzeichnungen lassen sich ohne weiteres auf Salingers
Gestaltung Holden Caulfields übertragen. Das heißt: Dostojewskijs Jüngling und Salingers
Catcher in the Rye sind darauf
angelegt, im Detail und im Ganzen Ausdruck pubertärer Selbstdarstellung
zu sein.
Arkadij Dolgorukij und Holden Caulfield sehen sich beide von den
Verlockungen einer Großstadt fasziniert.
Für Arkadij Dolgorukij wird Petersburg mit seinen Elendsquartieren
und schmutzigen Kneipen, mit seinen Spielhöllen, revolutionären Zirkeln
und fürstlichen Salons zum Sinnbild der Welt, die ihm fremd ist. Er
gerät ins Räderwerk der Fakten und distanziert sich schließlich, im
Kontakt mit dem "lebendigen Leben", von seinem maßlosen Wunsch nach
Reichtum und Macht. Er empfindet Petersburg als "unbekannten Ozean" und
fühlt sich selbst als "Kolumbus". (14) Den Tiefpunkt seiner Entwicklung
erlebt Arkadij am Ende des zweiten Teils, als man ihn aus einem
Spielklub hinauswirft, nachdem man ihn zu Unrecht des Diebstahls
bezichtigt hat. Völlig verstört irrt er durch das eiskalte nächtliche
Petersburg, trägt sich mit Selbstmordgedanken und wird schließlich,
körperlich und seelisch erschöpft, neun Tage bewußtlos. Mit einem Wort:
Arkadij hat einen Nervenzusammenbruch.
Holden Caulfield bricht allein und ohne festes Ziel nach New York
auf, wo er an einem Samstag spät in der Nacht mit dem Zug eintrifft,
ein Hotelzimmer mietet und das Nachtleben erkundet. New York ist für
Holden Caulfield die Verheißung all dessen, was ihm das Leben in der
Schule, die er soeben unerlaubt verlassen hat, nicht geben kann. New
York ist ihm zwar mit den Stätten seiner Kindheit vertraut, dennoch
wird es ihm erst jetzt, als er es auf eigene Faust und regelrecht
illegal durchstreift, zum Territorium des Abenteuers.
Bezeichnenderweise trägt Holden Caulfield eine rote Jagdkappe, mit der
die Stadtlandschaft zur Wildnis deklariert wird. Diese Jagdkappe
signalisiert ganz offensichtlich seine Sehnsucht nach dem
Ursprünglichen, und er nimmt sie ab, sobald die bürgerlichen Zwänge es
ihm erforderlich erscheinen lassen. Den Tiefpunkt seiner Entwicklung
erlebt Holden im vierzehnten Kapitel, als er von einer Prostituierten
und deren Zuhälter brutal gedemütigt wird. Holden spielt sogar mit dem
Gedanken, sich umzubringen. Die Summe all dessen, was ihn überforderte,
mündet am Ende in den Nervenzusammenbruch.
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Arkadijs Dachkammer, so eng wie ein Sarg, und Holdens Hotelzimmer
veranschaulichen die Isolation ihrer Bewohner» Es fällt des weiteren
auf, daß Arkadij und Holden immer wieder zu Fuß die Großstadt
durchstreifen. Die einsamen Stadtgänge des "Helden" bilden in beiden
Werken atmosphärische Höhepunkte.
Zustände nervlicher Überreizung sind für Arkadij Dolgorukij und
Holden Caulfield in gleicher Weise typisch. Arkadij vermerkt, er habe
es in der letzten Zeit ständig mit Leuten zu tun, die so erregt seien,
daß man sie "alle für mehr oder minder geisteskrank halten konnte", so
daß er von ihnen zwangsläufig angesteckt wurde. (15) Holden nennt seine
Geschichte "madman stuff". (16) Dostojewskijs Jüngling ist eine regelrecht
geschrieene Dichtung. Auch Holden Caulfield schreit seinen Unmut
heraus, als er des Nachts die Schule in Agerstown verläßt.
Die Situation des Heranwachsenden sieht in beiden Werken ganz
ähnlich aus: Arkadij Dolgorukij wie Holden Caulfield befinden sich auf
langstreckigen Bildungswegen, so daß die Ausübung eines Berufs nicht
einmal in Sicht sein kann. Auf Grund ihrer Jugend sehen sie sich in der
Welt der Erwachsenen nicht ernst genommen. "Ehre" und "Scham" sind
zentrale Realitäten ihres Erlebens.
In solchem Kontext gewinnt alles, was mit dem weiblichen Geschlecht
zu tun hat, eine geradezu magische Relevanz. Arkadij und Holden sind im
heterosexuellen Kontakt vollkommen unerfahren. Arkadij stellt
kategorisch fest: "Es ist wahr, von Frauen weiß ich nichts und will
auch nichts von ihnen wissen, denn ich habe mir geschworen, daß ich
mein ganzes Leben auf sie spucken werde." (17) Solch pathetische Abwehr
verrät tiefstes Engagement. Später lesen wir denn auch:
Ich muß hier eine Dummheit gestehen (denn das ist ja alles
schon so lange her), ich muß gestehen, daß ich schon lange vorher den
Wunsch hatte, zu heiraten. Das heißt, ich wollte es gar nicht, und das
könnte auch niemals geschehen (und wird auch in Zukunft nicht
geschehen, Ehrenwort), doch ich habe nicht nur einmal und schon lange
vorher davon geträumt, wie schön es doch wäre, zu heiraten — das heißt,
schrecklich oft, besonders beim Einschlafen, jede Nacht. Das hat bei
mir schon mit dem sechzehnten Lebensjahr angefangen. (18)
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Arkadijs Sehnsüchte konzentrieren sich während der geschilderten
Ereignisse des vergangenen Jahres ganz auf eine einzige Frau; Katerina
Achmakowa, eine junge Witwe, die in der großen Welt ihre Intrigen
spinnt. Arkadijs Liebe bleibt allerdings unerfüllt.
Wenn Arkadijs Interesse am weiblichen Geschlecht auf eine bestimmte
Person fixiert ist, so bleibt Holdens Interesse diffus. Jede Begegnung
mit einem weiblichen Wesen wird ihm zum Abenteuer, doch niemals kommt
es zur sexuellen Vereinigung, nicht einmal mit der Prostituierten
Sunny, die nachts auf sein Hotelzimmer kommt. Er ist, wie er selber
feststellt, "Jungfrau" geblieben. Holden leidet, ganz wie Arkadij, an
seelischer Berührungsangst, obwohl sich ihm jede Begegnung mit einem
weiblichen Wesen sexuell auflädt. Man denke hier insbesondere an das
Gespräch mit Mrs. Morrow, der über vierzig Jahre alten Mutter eines
Schulkameraden. Holdens Hilflosigkeit gegenüber der Wirklichkeit hat
zur Folge, daß er immer wieder Rollen übernimmt, die er nicht
authentisch verkörpern kann. Sehr typisch ist in dieser Hinsicht sein
Heiratsantrag an die Schülerin Sally Hayes, die natürlich ablehnt. Für
sich selber stellt er fest, daß er sie nicht einmal gern hatte und
trotzdem habe er sich plötzlich verliebt gefühlt und sie heiraten
wollen.
Man sieht: Dostojewskij und Salinger lassen das Verhältnis ihres
"Helden" zum weiblichen Geschlecht, objektiv gesehen, in einem
komischen Licht erscheinen. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und
Wirklichkeit wird in beiden Fällen nicht aufgelöst, so daß es zur
Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts kommt. (19)
Arkadij Dolgorukij und Holden Caulfield vermissen jegliche
Hilfestellung seitens ihrer Eltern. Arkadijs Mutter, eine ehemalige
Leibeigene, ist ihm zwar zugetan, sie lebt jedoch gegenüber der
sozialen Realität ein verängstigtes Dasein. Wersilow, Arkadijs
leiblicher Vater, ein ehemaliger Gutsbesitzer, der bereits drei
Vermögen durchgebracht hat, versteckt sich hinter Zynismen. Die Suche
nach dem Vater endet für Arkadij in einem Vakuum.
Auch Holden Caulfields Eltern, die ihm Wohlstand leben, sind für
seine Entwicklung kein konstruktiver Faktor. In einer fast anonymen
Ferne repräsentieren sie das soziale Gewissen für ein Reüssieren in
Leistung und Anpassung. Holden hat zu seinen Eltern kein Vertrauen.
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In beiden Werken tritt an die Stelle des leiblichen Vaters ein
geistiger. Vater, der die Stelle eines Mentors wahrnimmt.
Im Jüngling ist es Makar
Dolgorukij, der greise und fromme Pilger, der kurz vor seinem Tode in
Petersburg eintrifft und für Arkadij zum Exemplum gelebter Identität
wird. Holden Caulfield wiederum erhält im nächtlichen Gespräch mit Mr.
Antolini, seinem ehemaligen Englischlehrer in Elkton Hills, die Maximen
für ein vernünftiges Weltverhalten. Bezeichnenderweise bezieht Mr.
Antolini den Kernsatz seiner Ausführungen aus den Schriften Wilhelm
Stekels. Das heißt: An die Stelle des Christentums ist die
Psychoanalyse getreten. Auch ist Mr. Antolini seinen eigenen
vernünftigen Lebensregeln offenbar nicht gewachsen, denn er wird
gegenüber seinem jungen Adepten homosexuell zudringlich. Durch solche
Diskrepanz zwischen Sagen und Tun entkitscht Salinger die Belehrung,
die in Halden Caulfield positiv fortwirkt.
Man darf ohne Übertreibung sagen, daß sich Arkadij Dolgorukij und
Holden Caulfield im Zustand seelischer Aushungerung befinden. Beide
wenden sich innerhalb ihrer eigenen Familie der jüngeren Schwester zu.
Allerdings wird diese Konstellation von Dostojewskij weitaus
zurückhaltender gestaltet als von Salinger. Dennoch läßt sich sagen:
Arkadijs Haltung zu Lisa hat ihre Entsprechung in Holdens Haltung zu
Phoebe.
Die sittlich minderwertigste Gestalt in Dostojewskijs Jüngling ist Maurice Lambert,
Arkadijs ehemaliger Schulkamerad, der inzwischen ganz Im Milieu der
Unterwelt zuhause ist. Arkadij erinnert sich insbesondere daran, daß
Maurice Lambert ihn damals im Gymnasium oft geschlagen habe. Auch hat
derselbe Maurice Lambert einst eine halbnackte Prostituierte auf einem
Hotelzimmer mit der Peitsche traktiert. (20)
Holden Caulfield wird in der unangenehmsten Szene seiner
Erinnerungen vom Fahrstuhldiener Maurice, der gleichzeitig Zuhälter
ist, in seinem Hotelzimmer betrogen und brutal geschlagen: in Gegenwart
einer Prostituierten.
Dieses Detail, daß Salinger seinen diabolus ex machina Maurice
nennt, scheint gerade in seiner Unauffälligkeit ein ganz bewußter
Verweis auf Dostojewskijs Maurice zu sein. Sozusagen ein Wink für
Kenner.
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Auf die Begegnung mit Maurice folgt im Jüngling die Begegnung mit dem
freundlichen Pilger Makar und im Catcher
in the Rye die Begegnung mit den freundlichen Nonnen.
So viel zu den thematischen Gemeinsamkeiten beider Werke. Wenden wir
uns nun ihren formalen Gemeinsamkeiten zu.
Dostojewskij und Salinger lassen ihre Hauptgestalt selbst erzählen:
in der Ich-Form. Dies ist nun, für sich allein genommen, kein wirklich
eingrenzendes Kennzeichen, denn es trifft auf sämtliche "Bekenntnisse"
und "Autobiographien" zu. Unterscheidend aber ist in beiden Fällen das
jugendliche Alter des Erzählers. Arkadij Dolgorukij ist 2O Jahre alt,
als er zur Feder greift. Holden Caulfield ist 17, als er seine
Autobiographie skizziert. In beiden Werken ist die Erzähldistanz
auffällig gering, nämlich nur wenige Monate. Auch ist in beiden Werken
die zentral geschilderte Jahreszeit identisch: später Herbst bis fast
an die Grenze zum Winter. Die geringe Erzähldistanz läßt immer wieder
Unverwundenes kenntlich werden, das sich der Vergegenwärtigung zu
widersetzen sucht. Das Erzählen wird so zum instinktiv ergriffenen
Mittel der Autotherapie.
In beiden Werken wird ein relativ kurzer Zeitabschnitt chronologisch
vergegenwärtigt. Der Erzähler versetzt sich erneut in seine damalige
Situation als erlebendes • Ich und stellt wieder Offenheit gegenüber
der Zukunft her. Allerdings sind bei Dostojewskij drei große zeitliche
Einheiten zu unterscheiden, sein Roman besteht deshalb auch aus drei
Teilen, deren jeder auf ähnliche Weise gegliedert ist: es wird jeweils
ein "großer" Tag in fünf Kapiteln geschildert, dem jeweils einige
"kleine" Tage oder Tagesfragmente folgen.
Salingers Vorgehen ist nicht so kompliziert. The Catcher in the Rye schreitet
nur drei aufeinanderfolgende Tage chronologisch ab: Samstagmittag bis
Samstagnacht, Sonntag früh bis Sonntagnacht und den anschließenden
Montagmorgen. In beiden Werken wird es durch die Dehnung der Zeit
möglich, körperliche und seelische Ausnahmezustände kontinuierlich
wirklichkeitsschaffend wirksam werden zu lassen.
In beiden Werken wird die Vorvergangenheit ausschließlich assoziativ
eingebracht. Das heißt: Die Ereignisse, die dem chronologisch
vergegenwärtigten Zeitraum vorausliegen, werden jeweils dann Thema,
wenn sie vom erinnerten Ich assoziiert oder von anderen Personen
ausgesprochen werden.
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So werden Arkadijs Erlebnisse während seiner Schulzeit jeweils
stuckweise referiert: immer nur dann, wenn er damals, während des
chronologisch vergegenwärtigten Zeitabschnitts, von Erinnerungen an sie
befallen wurde.
Salinger geht ebenso vor. Alles, was in der Vorvergangenheit
geschehen ist, wird erst sichtbar, wenn es innerhalb des chronologisch
vergegenwärtigten Zeitabschnitts erinnert oder von einer anderen Person
ausgesprochen wird. So wird etwa der für Holdens innere Entwicklung so
bedeutende Selbstmord James Castles erst referiert, als er im Gespräch
mit Phoebe Thema wird. Auch tauchen die Informationen über den Tod
Allies, des jüngeren Bruders Holdens, der an Leukämie starb, regelrecht
sprunghaft auf.
Man sieht: In beiden Romanen wird die Zeit auf ein und dieselbe
Weise behandelt. Das identische Resultat ist eine ausgeklügelte
ständige Interferenz von Erzählgegenwart (mit Anreden des Lesers),
chronologisch vergegenwärtigter Vergangenheit und a-chronologisch
eingebrachter Vorvergangenheit.
Und schließlich sei auf das auffälligste gemeinsame Charakteristikum
beider Werke eingegangen, auf den Tonfall des Erzählers. Dostojewskijs Jüngling beginnt folgendermaßen:
Weil ich es nicht mehr aushalten konnte, habe ich mich
hingesetzt, um diese Geschichte meiner ersten Schritte auf dem
Schauplatz des Lebens niederzuschreiben, obwohl ich mir das eigentlich
auch hätte sparen können. Eines weiß ich genau: ich werde mich nicht
noch einmal hinsetzen, um meine Autobiographie zu schreiben, nicht
einmal wenn ich hundert Jahre alt würde. Man muß schon ziemlich
erbärmlich in die eigene Person verliebt sein, um über sich selber ohne
Scham etwas zu schreiben. Als einzige Rechtfertigung mache ich geltend,
daß ich nicht deshalb schreibe, weswegen sonst alle schreiben, nämlich
nicht, um vom Leser gelobt zu werden. Wenn ich mir plötzlich
vorgenommen habe, Wort für Wort niederzuschreiben, was mir seit dem
vergangenen Jahr passiert ist, so tat ich das aus einer inneren
Notwendigkeit heraus: so stark hat mich all das, was geschehen ist,
beeindruckt. Ich schreibe nur auf, was sich zugetragen hat, und werde
mit aller Kraft alles Neben-
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sächliche, vor allem aber jegliche literarischen Schönheiten
vermeiden; ein Literat schreibt dreißig Jahre und weiß am Ende nicht,
warum er so viele Jahre geschrieben hat. Ich bin kein Literat, will
kein Literat sein und würde es für unanständig und gemein halten, das
Innere meiner Seele und die schöne Beschreibung von Gefühlen auf den
literarischen Markt zu zerren. Mit Unbehagen aber sehe ich voraus, daß
man wahrscheinlich ohne die Beschreibung von Gefühlen und ohne
Betrachtungen (vielleicht sogar banale) nicht auskommen kann: so
korrumpierend wirkt auf den Menschen jede literarische Betätigung, auch
wenn man sie nur für sich selbst unternimmt.
Soweit Arkadij Dolgorukij. Sehen wir uns nun an, wie Holden
Caulfield seine Geschichte beginnt:
Wenn Sie wirklich was davon hören wollen, dann wollen Sie
bestimmt zuallererst wissen, wo ich geboren wurde und wie meine lausige
Kindheit ausgesehen hat und was meine Eltern gemacht haben und alles,
bevor sie mich kriegten, und dieses ganze Zeug à la David Copperfield,
aber mir ist nicht danach, wenn ich ehrlich sein soll. Erstens einmal
langweilt mich dieser Krempel, und zweitens bekämen meine Eltern an die
zwei Blutstürze pro Person, wenn ich irgend etwas ziemlich Persönliches
über sie verbreiten würde. Sie sind auf diesem Gebiet sehr empfindlich,
besonders mein Vater. Sie sind nett und alles, ich sag das ja gar
nicht—aber sie sind auch empfindlich wie nur was. Übrigens hab ich
nicht vor, meine verdammte Autobiographie hier lückenlos auszubreiten
oder so was. Ich werde diesen verrückten Krempel erzählen, der mir kurz
vor letzten Weihnachten passierte, direkt bevor ich ziemlich auf den
Hund kam und hier draußen untergebracht wurde und es mir bequem machen
mußte.
Beide Anfänge haben Verschiedenes miteinander gemein. Sie erwecken
sofort den Eindruck des gesprochenen Wortes. Dieser Eindruck wird von
Salinger noch mehr betont als von Dostojewskij, der den "Vorgang des
Aufschreibens selber zum Thema werden läßt, während bei Salinger
ausschließlich vom Erzählen die Rede ist.
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Beide Erzähler setzen sich sofort von der "Literatur" ab und lassen
doch unverzüglich erkennen, wie sehr sie von ihr affiziert sind. Beide
wollen nur erzählen, was sie im vergangenen Jahr erlebt haben. Beide
wollen sich aussprechen und verstanden werden. Ihre gemeinsame
Grundhaltung zum erhofften Leser und Zuhörer ist zutiefst werbend.
Allerdings wollen sich beide nicht bei dieser Absicht ertappen lassen.
Im Resultat kommt es zu einer ständigen Mischung aus Vertraulichkeit
und Distanz. "Vieles bleibt unausgesprochen", notierte sich
Dostojewskij zur Erzählhaltung Arkadij Dolgorukijs. (21) Dies gilt auch
für Holden Caulfield. Trotz und Scham sind die Triebkräfte ihrer
Selbstdarstellung.
Die praktizierte Ablehnung einer "schönen" Sprache wird zum Beleg
einer Poetik sui generis. Arkadij sagt ständig "das schwöre ich"
(kljanus'), so wie Holden unablässig versichert: "Das ist eine
Tatsache" (I really did; oder: It really was). Arkadij benutzt immer
wieder die Floskeln "im höchsten Grade" (v vysshej stepeni) und "mit
aller Kraft" (izo vsekh sil). So sagt er etwas "Ich bin ein im höchsten
Grade unehelicher Sohn" (Ja v vysshej stepeni nezakonnyj syn). Oder:
"Ich träumte mit aller Kraft" (Ja mechtal izo vsekh sil). Dem
entspricht Holdens automatische Verwendung des Zusatzes "und alles"
(and all) oder seine Angewohnheit, Eigennamen das Adjektiv "old"
voranzustellen; "old Maurice", "old Peter Lorre", ja sogar "old Jesus".
(22)
Arkadij schiebt ständig in Klammern etwas ein, das ihm sozusagen
während des Formulierens noch einfällt. Dostojewskij läßt so den
Mechanismus spontaner Äußerung sichtbar werden und verschafft der
"Ungeschicklichkeit des Erzählens" eine positive Merkmalhaltigkeit.
Dasselbe gilt für Salingers Konstruktionen von der Art: "Es hat einen
sehr guten akademischen Ruf, Pencey" (It has a very good academic
rating, Pencey).
Solche Details dürfen nun nicht den Eindruck aufkommen lassen, daß
für Dostojewskij und Salinger die naturalistische Wiedergabe der
Ausdrucksweise eines Halbwüchsigen das eigentliche Ziel gewesen sei.
Beiden Autoren ging es vielmehr darum, eine Direktaufnahme eines
puber-tären Bewußtseins im Prisma seiner Selbstdarstellung zu liefern.
Damit kommen die hier vorgelegten Überlegungen zum Abschluß. Ihr
Ziel war es, die tiefgehende poetologische Verwandtschaft beider Werke
nachzuweisen. Für den Nach-
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weis dieser Verwandtschaft erschien es nicht erforderlich, auf die
unterschiedlichen geschichtlichen Situationen einzugehen, aus denen
heraus beide Werke konzipiert wurden. Naturlich lassen sich auch
Unterschiede herausarbeiten. So ist etwa Dostojewskijs Einschätzung der
Verwirrungen des Arkadij Dolgorukij eine grundsätzlich andere als
Salingers Einschätzung der Verwirrungen des Holden Caulfield. Hinter
dem Jüngling steht das
positive Ideal sittlicher Keifung, Salingers Catcher in the Rye hingegen
vermittelt uns die Trauer über den Verlust einer kompromißlosen
Sensibilität.
Folgendes Fazit aber ist nun möglich. Dostojewskijs Jüngling und Salingers
Catcher in the Rye weisen eine
derartig hohe Anzahl thematischer und formaler Gemeinsamkeiten auf, daß
ein unmittelbarer Einfluß Dostojewskijs auf Salinger anzunehmen ist.
Auch dann jedoch, wenn Salingers Catcher
in the Rye ohne Kenntnis des Jünglings
allein aus der Logik der zu gestaltenden Sache entstanden wäre, würde
der Vergleich beider Werke nichts von seiner poetologischen Bedeutung
verlieren.
Es fällt auf, daß in Salingers Roman all das beiseite gelassen
wurde, was für Dostojewskijs Jüngling
die Breitenwirkung verhindert hat. Es fehlt die ungeheure Vielzahl der
handelnden Personen, es fehlt das Gewirr der Intrigen. Salinger
konzentriert seine Handlung ganz auf die Biographie der Hauptgestalt.
Man darf sagen: Alles, was sich an Dostojewskijs Jüngling als modern empfinden läßt,
tritt uns in Salingers Catcher in
the Rye gleichsam in Reinkultur entgegen. Das aber heißt, daß
ein Vergleich beider Werke unseren Blick für jene Eigenarten des Jünglings sensibilisieren wird, die
bei einem Vergleich mit anderen Werken Dostojewskijs nicht mit
derselben Deutlichkeit sichtbar werden können.
Denn eines steht fest: Wenn Holden Caulfield einen literarischen
Bruder im Geiste hat, dann ist es nicht Huckleberry Finn, sondern
Arkadij Dolgorukij.
ANMERKUNGEN
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